Kapitel 2

In den darauffolgenden Wochen fand John immer wieder Kleinigkeiten auf seiner Türschwelle. Bücher, handgeschriebene kalligrafische Texte, alle interessant oder schön anzusehen und manchmal sogar beides, allmählich fragte er sich ob er eine heimliche Verehrerin hätte. Aber der Inhalt der Bücher war doch eher dem männlichen Interessenspektrum zuzuordnen und das kalligraphische waren in der Regel übersetze japanische Haikus. Diese halfen ihm wirklich durch den Tag, sie trafen immer seine Gefühlslage. Die Bücher taten ihr übriges, sie waren immer unterhaltsam und lenkten ihn von seinen Problemen und seiner Trauer ab. Eines Morgens dann, fand er einen Brief auf seiner Türschwelle. Er erkannte die Schrift, die kalligrafischen Meisterwerke der letzten Zeit sahen genauso aus, hatten den selben Schwung. Mit zitternden Händen öffnete er den Brief.

John,

Ich weiß sie verachten mich, aber in dem Jahr in dem ich mich jetzt schon um Sie kümmere, auf Sherlocks Bitte hin, sind Sie mir ans Herz gewachsen. Sie sind für mich das geworden was Sie auch für Sherlock waren, jemand der am nächsten an das herankommt was man einen Freund nennt. 

Ich weiß das die Bücher, die ich Ihnen zukommen ließ, gefallen haben. Schließlich haben Sie einige davon in den Highgate Hill Park mitgenommen um sie dort zu lesen. Auch die Japanischen Kurzgedichte haben Ihnen wohl gefallen, wie ich höre haben Sie einige davon sogar gerahmt und in Ihrer Wohnung aufgehängt. All das scheint Ihnen wirklich geholfen zu haben, zumindest berichtet Dr. Mortimer dass Sie wieder besserer Laune sind.

Deswegen wollte ich Sie zu einem Dinner einladen. Wenn es Ihnen passt seien Sie nächsten Freitag gegen 19:00 Uhr bereit, ich werde Sie abholen lassen.

Mycroft

PS: Ein Anzug wäre angemessen, sonst bekomme selbst ich Probleme

John saß an seinem Küchentisch, er hatte das Gefühl außerhalb seines Körpers zu schweben und auf sich selbst herabzuschauen wie er den Brief in seinen zitternden Händen hielt. 

Machte Mycroft ihm ein Freundschaftsangebot.

Er schüttelt den Kopf und kehrte in seinen Körper zurück. Abgeneigt war er nicht, eigentlich tat es ihm sogar leid was er zu Mycroft an Sherlocks Grab gesagt hatte. Und er könnte einen Freund brauchen, warum nicht Mycroft. Er würde zu diesem Essen gehen und hören was Mycroft zu sagen hatte.

An besagtem Freitag stand er also geschniegelt und gebügelt in seinem besten Anzug vor der Tür. Die schwarze Limousine mit den abgetönten Fenstern fuhr Punkt sieben vor und John stieg mit gemischten Gefühlen ein.

Er hatte zuvor nochmals alle Bücher im Schnellverfahren gescannt um sich deren Inhalt nochmals ins Gedächtnis zu rufen. Schließlich musste man vorbereitet sein wenn man einen Mycroft Holmes traf. Der war es schließlich auch. 

Die Limousine hielt vor einem der teuersten Restaurants der Stadt und John hoffte inständig das Mycroft bezahlen würde. Er stieg aus und der Fahrer bedeutete ihm das er einfach ins Restaurant gehen sollte. Zu Johns Überraschung war das gesamte Restaurant leer, an einem Tisch saß Mycroft und als er John sah stand er auf um ihm entgegen zu gehen. John war überwältigt, er stand am Eingang und war nicht in der Lage auch nur einen Schritt in den Raum zu tun. Er fühlte sich wie ein Schulmädchen auf dem Weg zu einem Date mit einem viel älteren Mann. Mycroft erreichte ihn legte sanft seine Hand an Johns Ellenbogen und dirigierte ihn zu dem schon eingedeckten Tisch. “Setzen Sie sich John, es freut mich das Sie gekommen sind. Ich habe mir erlaubt für uns schonmal einen Aperitif zu bestellen.”

Langsam kehrten Johns Lebensgeister wieder zurück allmählich bekam er ein sonderbares Gefühl, er hoffte inständig das dies von Mycroft nicht als Date geplant war.

Der war schon wieder dabei Johns anfängliche Schweigsamkeit durch eigene Aktivität zu überspielen. “Hier ist die Karte John, suchen Sie sich aus was Sie möchten, die Rechnung geht auf mich.” 

Eine zeitlang saßen sie beide schweigend da uns studierten die Karte, John konnte sich nicht entscheiden und das sah man ihm an.

Wieder ergriff Mycroft die Initiative “Lassen Sie es gut sein John, Ich werde für uns beide bestellen wenn es Sie nicht stört” Warum hatte er ständig das Gefühl in eine viktorianischen Liebesromanze zu stecken und nach alter Väter Sitte den Hof gemacht zu bekommen. Er nickte um Mycroft zu bedeuten das es ihn nicht stören würde aber innerlich schüttelte er sich.

Mycroft ließ den Kellner kommen und bestellte.

Danach schaute er John an, beobachte ihn, dieser Mann kostete ihn den letzten Nerv und erforderte all seine Selbstbeherrschung. Aber er konnte ihn jetzt nicht einfach vernaschen wie einen seiner Assistenten im Büro er musste sich zusammenreißen. Das Essen kam und beide waren zuerst einmal beschäftigt. John hatte nicht vor es Mycroft einfach zu machen und schwieg sich aus. 

Für Mycroft hieß es also höflich Konversation zu betreiben er hatte die Bücher schließlich nicht umsonst ausgesucht.

"Nun John dann wollen wir doch mal schauen was Sie von den Büchern die ich Ihnen so ans Herz gelegt habe, behalten haben."

John schluckte, na das kann ja heiter werden, ich bin wieder in der Schule hätte er doch zuerst etwas gesagt, dann hätte er das Thema wählen können. Deswegen beschloss er zum Angriff überzugehen: ” Lassen wir die Bücher mal Bücher sein. Es interessiert mich mehr ob Sie meine Wohnung mit Kameras ausgestattet haben oder warum wissen Sie welche Ihrer Gedichte ich aufgehängt habe. Muss ich jetzt einen Experten anheuern um die Dinger wieder loszuwerden?” 

"Nein John das ist nicht notwendig ich habe da andere Quellen und muss nicht auf solche Mittel zurückgreifen," erwiderte Mycroft in vollem Ernst.

"Prima dann kann ich also Damenbesuch mit nach Hause bringen ohne mir Gedanken machen zu müssen ob ich ihre private Pornosammlung bereichere!"

"John!!!!! Was denken Sie von mir solches Material würde auf jeden Fall vernichtet wenn es nicht gebraucht würde." Mycroft tat entrüstet, insgeheim dachte er das es im Falle von John vielleicht doch interessant wäre. Er musste sich ein Lächeln verkneifen. Dann sagte er: "Kehren wir zu den Büchern zurück und bitte John, machen Sie mit, mir zuliebe und lenken Sie nicht wieder ab" er legte den Kopf zur Seite und lächelte John derartig breit an das John glaubte die Mundwinkel müssten an seinem Hinterkopf wieder zusammentreffen. Er zuckte mit den Schultern und ergab sich seinem Schicksal.

"Nun ich hoffe Sie können sich noch an Nicholas Flamel erinnern  er war ein Schreiber und Alchemist zwei Berufe die zu dieser Zeit noch nahe beieinander lagen da jeder Schreiber sein eigenes geheimes Rezept zur Tintenherstellung hatte. Er lebte in Paris um 1400 nach Chr. herum. Es ranken sich ja eine Menge Gerüchte um ihn und seine Frau. ….

Und nachdem Mycroft feststellte das er einen dankbaren und interessierten Zuhörer hatte, der auch die Frage der Kameras komplett vergessen hatte, nahm er richtig Fahrt auf und war nicht mehr zu stoppen. Schließlich wollte er nicht das John nochmals darauf zurückkam. Dank der Bücher die John gelesen hatte war es ihm möglich auch ein paar Fragen aufzubringen über die sie dann angeregt diskutierten. Mycroft hatte einen staubtrockenen Humor und John erwischte sich mehrmals dabei das er kicherte wie ein Schulmädchen. Schlimmer waren allerdings die Doppeldeutigkeiten die John ab und an unbeabsichtigt entwischten und die von Mycroft jedes mal mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentiert wurden. Daraufhin rekapitulierte John was er gerade gesagt hatte und errötete dann zu seinem Leidwesen auch noch wie besagtes Schulmädchen. Der Abend ging schnell vorbei und Johns Laune war so gut wie schon lange nicht mehr. Mycroft brachte ihn nach Hause und bevor John das Auto verließ drehte er sich nochmals zu Mycroft um nahm dessen Hand drückte sie und sagte aus vollem Herzen heraus: “Danke Mycroft das war seit langem der wunderbarste Abend den ich erlebt habe.”

Mycroft war das erste Mal in seinem Leben sprachlos, er saß da unbeweglich und als die Autotür zuschlug, wischte er sich heimlich eine Träne aus dem Auge.

© Katja Maibauer 2018                                          katja(at)maibauer-gleisner.de